TOP FM Interview:
Sollen Eltern ihre Kinder in die Schule bringen?

Vor einigen Wochen bekam ich von dem lokalen Münchner Radiosender Top FM folgende Interviewfrage gestellt: sollen Eltern ihre Kinder in die Schule bringen?

Die charmante Moderatorin des Radiosenders verwies auf eine schwedische Studie, die zu dem Schluss kam, dass Schulkinder alleine zur Schule gehen sollten. Die Moderatorin fragte mich, was ich aus kinderpsychologischer Sicht davon halten würde. 

„in meiner Rolle als Kinderpsychologe tendiere ich zu einem klaren: Es kommt drauf an.“

Doch am besten wir fangen ganz von vorne an.

„Bei der von Ihnen gestellten Frage handelt es sich in erster Linie um eine Verselbstständigungsthematik. Ab wann können und sollen Kinder für bestimmte Anforderungen ihres Alltags selbst Verantwortung übernehmen?Diese Frage beginnt mit Sicherheit nicht bei dem Schulweg, sondern viel früher. Es beginnt bei dem ersten Satz den Kinder sagen, sobald sie Zwei- Wortsätze beherrschen: „selber machen“ 

„Selber machen“

Ich will selber die Hose anziehen, die Jacke zumachen, den Legostein auf einen anderen setzen. Sobald man darauf als Eltern achtet und das Selber- machen-wollen unterstützt und fördert, hat man schon eine ganze Menge richtig gemacht. Fördern heißt hier geduldig sein und dem Kind helfen mit dem Frust umzugehen, der immer dann auftaucht, sobald es nicht recht auf Anhieb klappen mag. Probier es nochmal! Und wenn man als Eltern Hilfe anbietet, dann tun Sie das am besten häppchenweise. Nicht alles aufeinmal zeigen. Lassen Sie ihr Kind ausprobieren. Das macht Spaß.

Verantwortungsübernahme beginnt an anderer Stelle

Verantwortungsübernahme für eigene Belange beginnt bei Schulkindern damit, dass sie sich selbst den Wecker stellen und sich nicht darauf verlassen, dass sich die Eltern schon kümmern werden, dass sie aufstehen. Nein, sie müssen lernen, selbst aufzustehen. Ob sie dann alleine mit anderen Kinder in Schule gehen oder nicht, ist nicht so entscheidend. Natürlich lernen sie dabei auch, dass sie aufeinander aufpassen müssen, Rücksicht nehmen, wenn sie auf dem Weg zur Schule sind; und natürlich trainiert dies auch – zumindest wenn man in der Stadt wohnt – sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewegen. Ich gehe aber davon aus, dass dies Kinder auch lernen, selbst wenn sie von ihren Eltern in die Schule gefahren werden, weil es ihnen ihre Bezugspersonen bei anderer Gelegenheit beibringen oder die Kinder am Nachmittag eine Unternehmung mit einem Freund machen, der vielleicht schon selbstverständlicher mit dem Thema Eigenverantwortung zurecht kommt. 

Der gemeinsame Schulweg stärkt die Bindung

In der heutigen Zeit, in der viele Kinder bis zum späten Nachmittag in Ganztagsschulen verbringen, sehen sie die Eltern nur am Abend. Wann sollte man da noch Zeit miteinander verbringen? Der gemeinsame Schulweg kann dann ein bindungsstärkendes Element werden, eine Art Familien-Ritual. Man kann sich auf dem Weg zur Schule mental auf den anstehen Tag vorbereiten. Das geht mit den Eltern meist besser als mit den Gleichaltrigen, weil es in der Interaktion mit der Peergruppe eher um den Austausch und das Teilen von ähnlichen Interessen geht. Das Spiel und der Austausch kann aber noch den ganzen Tag stattfinden, da macht die halbe Stunde am Morgen meines Erachtens keinen großen Unterschied, wenn Kinder nicht den Weg alleine in die Schule machen.

Kulturspezifische Unterschiede

Im übrigen ist dies ein kulturspezifisches Thema: in Lateinamerika beispielsweise ist es üblich, dass die Kinder auch noch mit zwölf Jahren in die Schule von ihren Müttern gebracht werden. Tun man das als Mutter nicht, wird man schnell als wenig umsichtige und engagierte Mutter tituliert.
Die Kehrseite dieser starken Mutterbindung ist dann eine gewisse Anhänglich- und Abhängigkeit. 

Das richtige Maß finden

Es kommt also wie sooft auf das richtige Maß an. Es gibt hier kein richtig oder falsch.“